Lernen: Modelle konfrontieren – Allianzen bilden.

Hier wurden die Fische aus drei Tagen intensiver Debatten auf der Entwicklungstagung gefangen! Die Sprecher*innen führten die facettenreichen Inhalte der sechs Foren zusammen und leiteten daraus politische Forderungen sowie Handlungsoptionen ab.

Julia Günther (WIDE – Entwicklungspolitisches Netzwerk für Frauenrechte und feministische Perspektiven) übernahm die Moderation in dieser Gesprächsrunde. Ein zentrales Ziel des Programmpunktes war laut der Moderatorin „Allianzen zu bilden“. Trotz der teilweise bedrückenden Einblicke in verschiedene Dimensionen globaler Ungleichheiten solle die abschließende Fishbowl dazu motivieren, sich den globalen Herausforderungen zu stellen. Denn ein erster Schritt sei es, Bewusstsein dafür zu schaffen, was wir brauchen, um das hegemoniale Patriarchat abzubauen, um intersektionale, antirassistische und dekoloniale Perspektiven zu stärken und nicht zuletzt, um eine Steuerpolitik voranzutreiben, die dem Ziel der fairen Umverteilung gerecht wird. Es gebe bereits Alternativen wie etwa buen vivir (dt. gutes Leben), und diese müssten auch umgesetzt werden.

Wo findet Gleichheit bereits statt und wo muss noch etwas getan werden, um gegen Ungleichheiten vorzugehen? Mit diesen Fragen übergab Günther das Wort an die Vertreter*innen der Foren.

Was ist Globale Ungleichheit? Wächst sie, schrumpft sie?

Andreas Exenberger von der Universität Innsbruck machte gleich zu Beginn darauf aufmerksam, dass im Grundlagenforum eine Vielfalt von Meinungen vorherrschte. Laut ihm ein wichtiger Umstand, da diese Diversität ein Stück weit die von unterschiedlichen Perspektiven geprägten Lebenswelten repräsentiere. Aus diesem Grund verwies er auf die Notwendigkeit, das gemeinsame Ziel, weniger globale Ungleichheit, nicht außer Augen zu verlieren.

Klar sei, dass die Verringerung von Ungleichheit die Weltstruktur verändern würde. Auf der einen Seite würde der luxuriöse Lebensstil der Reichsten nicht zu halten sein. Dadurch könne auf der anderen Seite Armut verschwinden. Denn Ungleichheitsbekämpfung betrifft alle. Aber wie diese Veränderung konkret aussehen kann, sei schwer zu sagen, denn alle seien sich einig gewesen, dass die kapitalistische Weltordnung eine riesige Herausforderung sei.

Ungleichheit im globalen Agrar- und Ernährungssystem.

Isabelle Schützenberger und Christina Plank stellten die zentralen Forderungen aus ihrem Forum vor. Der Fokus müsse auf einem Ernährungssystem liegen, dem Ungleichheiten nicht mehr inhärent seien. Die Interessen der Bäuer*innen und Konsument*innen sollten wieder in den Vordergrund gerückt werden und nicht etwa die der internationalen Großkonzerne. Von zentraler Bedeutung sei zudem, die Agrarökologie (deren Konzepte auf traditionellem und lokalem Wissen beruhen) zu fördern und die Landwirtschaft nachhaltig zu verändern. Aber im Endeffekt müssten nicht nur die Agrarpolitiken umgebaut werden, sondern vielmehr alle Politiken, die mit Landwirtschaft im Zusammenhang stehen. Stimmen aus dem Globalen Süden seien ebenfalls zum Tragen gekommen. Eine Sprecherin aus Zimbabwe hätte im Forum betont, dass die Frauen* in ihrem Land immer dafür sorgen würden, dass es genügend Nahrung gebe. Trotzdem könnten sie nur einen marginalen Teil des Landes bewirtschaften und seien sogar davon ausgeschlossen, überhaupt Land zu besitzen. Genau hier müssten wir also ansetzen, um Ungleichheiten aufzuheben.

Ungleichheit gegenSteuern.

In der Steuerpolitik zähle in erster Linie oft, Einnahmen zu erzielen, aber die Umverteilung sei mindestens genauso wichtig, so Roos Saalbrink. Steuerliche Maßnahmen könnten Ungleichheiten befeuern, ihnen aber auch entgegenSteuern. Allerdings gebe es auch in der Steuerpolitik nicht nur ein einziges Ungleichheitsszenario. Verschiedene Ebenen seien betroffen und spiegelten sich von ökologischen (z. B. Rohstoffgewinnung) bis hin zu geschlechtsspezifischen (z. B. Lohngefälle) Ungleichheiten wider. Das bestehende internationale Finanzsystem begünstige dabei sowohl die Aufrechterhaltung als auch die Verschärfung der Ungleichheit, worauf viele Teilnehmende des Forums hingewiesen hätten.

Ungleiche globalisierte Produktion und nachhaltige Industriepolitik.

Bettina Rosenberger vom Netzwerk Soziale Verantwortung verwies ebenfalls darauf, dass ihr Forum von intensiven Debatten geprägt war. Die Diskussionen reichten von allgemeinen gesellschaftspolitischen Veränderungsmöglichkeiten bis hin zu konkreten auf die Industriepolitik bezogenen Ansätzen, wie der Kreislaufwirtschaft und der Lieferkettengesetzgebung. Die dahinterstehenden Machtfragen spielten jedoch in allen Punkten eine wichtige Rolle. Denn laut Rosenberger würden bereits bei der Eingrenzung von Begrifflichkeiten, wie etwa bei Greenwashing, Machtstrukturen sichtbar werden. Wer dürfe definieren, was darunter gefasst ist? So appellierte sie an alle, dass solche Begriffe nicht mehr nur bloße Modewörter bleiben dürften, sondern vielmehr deren kritisches Potenzial erhalten bleiben solle. Dem Lieferkettensorgfaltsplichtengesetz in Deutschland, das teils als erster Erfolg für gerechtere Güterketten gefeiert wurde, steht Rosenberger kritisch gegenüber. Das sei nicht genug. Denn hierbei beträfen die Veränderungen „nur“ Unternehmen mit deutschem Hauptsitz und deren unmittelbare Zulieferanten. Diese Einschränkungen hielten allerdings einige Hintertürchen offen. Wenn tatsächlich zu mehr Gerechtigkeit entlang  globaler Güterketten beigetragen werden solle, dann müssten auch für die Menschen im Globalen Süden Veränderungen angestrebt werden.

Ungleichheit, Migration und Klimagerechtigkeit: Stimmen aus dem Globalen Süden.

Auch Michael Fanizadeh vom Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation (VIDC) bedankte sich bei den Teilnehmer*innen des Forums für das große Engagement. Ein kurzer Podcast, der von einer Gruppe des Forums zusammengestellt wurde, hielt einige wichtige Aspekte fest. Die Organisator*innen wollten in erster Linie zeigen, dass Migration und Klimagerechtigkeit nicht nur ein europäisches Problem repräsentierten. Es gebe nicht nur ein einziges Klimanarrativ, weshalb es ihnen wichtig erschien, mehr Stimmen aus dem Globalen Süden miteinzubeziehen. Denn es seien verschiedene Stellschrauben, an denen gedreht werden müsse, um zu verhindern, dass diejenigen, die am wenigsten Verantwortung für die Klimakrise tragen, am meisten darunter leiden müssten. Faire Arbeitsrechtsbestimmungen, nachhaltige landwirtschaftliche Methoden und eine gerechte Finanzpolitik sollten dabei unbedingt unter die Lupe genommen werden.

Ungleiche Staatlichkeit: Gesellschaftliches Zusammenspiel im 21. Jahrhundert?

Das Zusammenspiel von Staat und Zivilgesellschaft war thematischer Gegenstand des Forums zu ungleicher Staatlichkeit. Anna Reismann von der Adenauer-Stiftung Kampala verwies darauf, dass beiden Seiten eine wichtige Rolle zukäme, wenn es um die Krisenbewältigung geht. Vor dem Hintergrund des russischen Aggressionskriegs und der COVID-19-Pandemie sei im Forum auf Russland, Uganda und Brasilien eingegangen worden. Damit sollten die unterschiedlichen Ausprägungen dieses Zusammenspiels demonstriert werden. Im Zuge dessen verwies Reismann auf die SDGs, die die Notwendigkeit unterstreichen würden, dass die zahlreichen Akteur*innen im Dialog blieben.

Jede*r darf in der Fishbowl das Wort ergreifen.

Während der gesamten Gesprächsrunde, die die Entwicklungstagung und deren Sujets rekapitulierte, gab es auf dem Podium neben den Sitzgelegenheiten für die Vertreter*innen aus den Foren zwei zusätzliche Stühle. Alle Tagungsteilnehmer*innen hatten dadurch die Möglichkeit, sich auf die Bühne zu bewegen und ihre Impressionen, offene Fragen oder etwaige Leerstellen kundzutun.

Ein Teilnehmer nutzte den Raum und betonte, wie wichtig es sei, Menschenrechte mit in die Debatte einzubeziehen. Sie seien der Schlüssel zu Veränderungen. Ein Student aus Wien verwies auf die nicht nachvollziehbare Rollenverteilung, denen Menschen in der Ökonomie unterworfen würden. Diese könnten nur entweder Konsument*in oder Produzent*in sein. Für eine Studentin war es nochmal wichtig, auf das Binaritätsdenken sowie die damit verbundenen Hierarchievorstellungen in der globalen Weltordnung aufmerksam machen.

Abschlusswort von Gerald Faschingeder.

„Herzlichen Dank für diese Fische!“. Als reiche Ernte bezeichnete Gerald Faschingeder die Fishbowl. Nichtsdestotrotz blieben globale Ungleichheiten weiterhin präsent, wie er betonte. Vor der Entwicklungstagung hätte er sich viele Gedanken über einen roten Faden gemacht. Sei es zu viel gewesen, Corona und geopolitische Verhältnisse thematisieren zu wollen? Nicht wirklich! Die Welt sei kompliziert und es ginge darum, diese Kompliziertheit herunterzubrechen, um transformatives Handeln zu ermöglichen. Und wie er abschließend sagte: „Nach der Tagung ist vor der Tagung!“. In diesem Sinne können wir uns auf die 9. Entwicklungstagung in Innsbruck einstimmen, denn der Diskussionsbedarf wird so schnell nicht ausgehen.

 

Die Autorin ist Praktikantin im Paulo Freire Zentrum. Reaktionen bitte an redaktion@pfz.at.

Links zum Programm der Entwicklungstagung 2022:

Gesamtprogramm

Infos zu den Referent*innen

Lernen: Modelle konfrontieren – Allianzen bilden.

Titelbild © David Untersmayr

Veröffentlicht in Thema Globale Ungleichheiten, Genderungerechtigkeit, Migration, Entwicklungstagung 2022.