Forum 5: Ungleichheit, Migration und Klimagerechtigkeit: Stimmen aus dem Globalen Süden

Durch die Folgen der Klimakrise verlieren immer mehr Menschen ihre Existenzgrundlage. Was heißt es, aufgrund von Naturkatastrophen von zuhause vertrieben zu werden? Wie werden diese, aber auch andere Formen von Migration geregelt – oder eben nicht geregelt? Wer wird in diesem Diskurs gehört und wer nicht? Und vor allem: Wie kann man diese Missstände ändern?

Dies waren einige der vielen Fragen, die in Forum 5 der Achten Österreichischen Entwicklungstagung behandelt wurden. Nach einleitenden Worten von Janine Wurzer (Entwicklungspolitisches Netzwerk für Frauenrechte und feministische Perspektiven, WIDE) und Michael Fanizadeh (Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation, VIDC) hieß es angeleitet von Moderatorin Daniela „Dani“ Paredes Grijalva (Österreichische Akademie der Wissenschaften, ÖAW) bereits: Auf und aktiv werden! Ganz in diesem Zeichen sollte der gesamte gemeinsame Nachmittag stehen.

Die Willkür der Herkunft.

Zuerst versammelten sich die Teilnehmenden im hinteren Drittel des Raumes. Die Gruppe solle sich vorstellen, dieser Bereich sei eine Weltkarte, so Dani. Dabei zeigte sie ungefähr an, wo sich welcher Kontinent befinden würde. Die einzelnen Teilnehmenden sollten dort hingehen, wo sie herkamen bzw. was sie ihre „Heimat“ nannten. Es wurde schnell klar, dass mit Ausnahme des Organisationsteams und der beiden Speakerinnen Paula Banerjee (Universität Kolkata, Indien) und Pato Kelesitse (South African Climate Action Network, Botswana) kaum jemand aus dem Globalen Süden kam. Währenddessen wurde es sehr eng auf dem Fleckchen im Raum, das Europa darstellen sollte. Implizit offenbarte sich dadurch, dass kaum jemand im Raum war, die*der in der Vergangenheit aufgrund von klimatischen Veränderungen und Naturkatastrophen zur Emigration bzw. Flucht gezwungen worden war. Der Großteil der Anwesenden wusste also nicht, wie sich (Klima-)Flucht als Betroffene*r anfühlt und welche Folgen das konkret für das eigene Leben haben kann.

Um besser zu verstehen, was es heißt, (Klima-)Flüchtling zu sein, sollten die Teilnehmenden anschließend einen „Privilege Walk“ (dt.: „Privilegienweg“) gehen. Dazu fanden sie sich zunächst auf einer Seite des leeren Raumes ein. Auf dieser Seite, so die Vorstellung, hätten die Teilnehmer*innen keinerlei Freiheiten und Sicherheiten. Sie hätten keinen Zugang zu medizinischer Versorgung und könnten nicht auswählen, unter welchen Bedingungen sie arbeiten oder wohin sie gehen. Wie fühle sich das wohl an? Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes herrsche hingegen vollkommene Freiheit. Man könne frei nach den eigenen Bedürfnissen entscheiden, wie man das eigene Leben gestaltet. Die Forums-Teilnehmer*innen sollten nun versuchen, auf die Seite „vollkommener Freiheit“ zu gelangen. Sie sollten sich dabei vorstellen, jemand zu sein, die*der aufgrund von Klima-/Wetterextremen zur Flucht gezwungen sei. Dani gab dann Anweisungen wie: „Wenn du einen EU-Reisepass hast, mach einen Schritt vor.“, aber auch: „Wenn du nicht weiß bist, mach zwei Schritte zurück“ etc.

Die Teilnehmenden staunten nicht schlecht, als sie sich am Ende der Fragen kaum von ihrem Ausgangspunkt entfernt hatten. Die Seite der Freiheit war in weiter Ferne. Welche Gefühle löste dies bei den Teilnehmenden aus? Die Rückmeldungen waren sehr ähnlich. Die Situation wurde als „unfair“ und „deprimierend“ wahrgenommen. Man fühle sich nicht wahrgenommen, zudem sei der Weg gefährlich. Pato Kelesitse merkte an, dass sich dies in Botswana, ihrem Herkunftsland, niemand künstlich vorstellen müsse. Diese Unfreiheit und Ohnmacht seien dort kein „Spiel“, sondern bittere Realität.

Das Narrativ des „Wirtschaftsflüchtlings“.

Danach folgte eine kurze Annäherung an das Thema Klima und Flucht ausgehend von rechtlichen Rahmenbedingungen. Entgegen der Vermutung der meisten Teilnehmenden gebe es beispielsweise mehrere internationale Abkommen, die die Verschränkung von Klimawandel und Migration adressierten. Gleichzeitig sei der Begriff des „Klimaflüchtlings“ nirgendwo definiert, so Dani.
Andere Kategorien von Geflüchteten hätten jedoch sehr wohl Eingang in internationales Recht gefunden, so Paula Banerjee in ihrem Kurzvortrag. Die fünf in der Genfer Konvention anerkannten Fluchtgründe seien Verfolgung aufgrund von Race, Nationalität, Religion, politischer Überzeugung und Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Personen, die in Abgrenzung dazu im Globalen Norden häufig als illegitime Migrant*innen dargestellt würden, seien oftmals mit der Bezeichnung „Wirtschaftsflüchtling“ konfrontiert. Menschen, die aufgrund von Armut und ökonomischer Perspektivlosigkeit auswandern bzw. zur Flucht gezwungen sind würden damit als Personen dargestellt, die sich am Leben in privilegierteren Gesellschaften zu Unrecht bereichern und dadurch der Bevölkerung des Globalen Nordens schaden würden.

Dieses Narrativ sei aber geprägt von Auslassungen und Verdrehungen der Fakten. Tatsächlich sei der Globale Norden in höchstem Maße daran interessiert, dass diese Menschen in die Industriestaaten kämen. Denn sie seien es, die zum Erhalt des kapitalistischen Wirtschaftssystems benötigt werden. Da sie häufig keine Papiere besitzen und deshalb im informellen/illegalen Bereich arbeiten müssen, seien sie nicht durch das Arbeitsrecht geschützt. Damit ist ihre Arbeitskraft billig und sie verfügen über keine Verhandlungsmacht. Aus diesem Grund werden sie für die Volkswirtschaften des Globalen Nordens zum Vorteil. Dieser bewegt Machthaber*innen der Einwanderungsländer teilweise dazu, den Migrant*innen den Zugang zu regulärer Arbeit bewusst zu verwehren bzw. zu erschweren.

Das Label des „Wirtschaftsflüchtlings“ impliziere in der öffentlichen Debatte aber gleichzeitig, dass es keinen ‚echten‘ Fluchtgrund gäbe, und gehe oft mit der Annahme einher, jene Personen bräuchten keinen besonderen Schutz. In Wahrheit sei dieser Fluchtgrund aber ebenso legitim wie auch gefährlich für die Geflüchteten. Zudem würden sich entgegen der verbreiteten Darstellung unterschiedliche Fluchtgründe häufig überschneiden. Personen etwa, deren Heimat durch eine Flut zerstört wird, verlieren in vielen Fällen auch ihren Arbeitsplatz. Es sei Aufgabe der Privilegierten dieser Welt, die diese Umstände aus der Ferne beobachten können, sichere Wege der (Arbeits-)Migration zu schaffen. Denn angesichts von Klimawandel und Naturkatastrophen sowie ökonomischer Existenzängste und anderen legitimen Fluchtursachen werde es immer Migration geben. Die Frage ist nur, ob sie in die Illegalität, geprägt von Unfreiheit für die Betroffenen, gedrängt wird oder ob man sie sicher gestaltet. Hier dürfe man nie vergessen, dass der Globale Norden von humaner Asylpolitik und regulärer Einwanderung selbst profitieren würde, wie etwa der immense Fachkräftemangel zeigt.

Stimmen des Globalen Südens.

Gleichzeitig solle nicht der Eindruck entstehen, Geflüchtete seien selbst handlungsunfähig und immer nur Objekt statt Subjekt im Migrationsdiskurs, wie Pato Kelesitse in ihrem Beitrag erläuterte. Um dies zu verdeutlichen, hat sie einen Podcast gegründet, in dem ausschließlich Menschen aus Afrika zu Wort kommen. Darin würden afrikanische Lösungen, Erfahrungen und wissenschaftliche Literatur vorgestellt. Schließlich sei Afrika als Kontinent am schlimmsten von der Klimakrise betroffen. Obwohl Afrikaner*innen nur für 3% der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich sind, werden sie regional wie auch international kaum als Expert*innen angehört.

Privilegien nutzen, Verantwortung übernehmen.

Ausgehend von diesen Inputs aus dem Globalen Süden sollten sich die Forums-Teilnehmer*innen schließlich überlegen, welche Aktionen sie als (relativ) privilegierte Menschen umsetzen können, um zu mehr (Klima-)Gerechtigkeit beitragen zu können. Dazu wurden Kleingruppen gebildet, welche dann Zeit hatten, sich ausgehend von einem Aspekt von (Klima-)Flucht, wie etwa „Arbeitsmarkt“ eine Aktion zu überlegen. Am Ende wurden Theaterstücke aufgeführt, bewusstseinsbildende, aktivistische ‚Irritationen‘ geplant, Interviews für Podcasts aufgenommen und vieles mehr. Dadurch übten sich die Teilnehmer*innen darin, das tiefere Verständnis durch empathisches und aufrichtiges Anhören des Globalen Südens in ihren eigenen (privilegierten) Aktionsradius zu integrieren. Genau dieses Engagement, so die Lektion aus diesem Forum, bräuchte es auf individueller sowie auf nationaler und internationaler Ebene.

 

Die Autorin ist Mitglied des Redaktionsteams. Reaktionen bitte an redaktion@pfz.at.

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Forum 5: Ungleichheit, Migration und Klimagerechtigkeit: Stimmen aus dem Globalen Süden

Titelbild © Valentina Duelli

Veröffentlicht in Aktuelles, Thema Globale Ungleichheiten, Genderungerechtigkeit, Migration, Entwicklungstagung 2022.