Forum 2: Ungleichheit im globalen Agrar- und Ernährungssystem.

Anhand des globalen Agrar- und Ernährungssystems zeigen sich Ungleichheiten besonders deutlich: Hunderte Millionen Menschen hungern, während Fehlernährung dazu führt, dass Milliarden unter Übergewicht leiden. Dazu verschärft die industrielle Nahrungsmittelproduktion die Klimakrise, die wiederum landwirtschaftliche Erträge bedroht. Doch Nahrungsmittelproduktion betrifft uns alle, und alternative Ansätze bergen großes Potential für Veränderungen auf struktureller Ebene. Im Forum zum Agrar- und Ernährungssystem auf der 8. österreichischen Entwicklungstagung wurden Ideen und Initiativen aus globalem Norden und Süden vorgestellt. Wie steht es also um die Selbstbestimmung in unserer Ernährung?

Grundlegende Veränderungen sind gefragt.

Aktuell befänden wir uns in einem Corporate Food Regime (dt. unternehmenszentriertes Nahrungsmittelregime), so Christina Plank von der BOKU Wien. Dieses sei geprägt durch internationale Arbeitsteilung und die Macht transnationaler Unternehmen. Während einige wenige Konzerne den Agrarsektor kontrollierten und dominierten, würden Kleinbäuer*innen von den Märkten verdrängt und somit ihrer Lebensgrundlage beraubt. Außerdem wirke sich die Klimakrise gravierend auf die Agrarwirtschaft aus. Vor allem im Globalen Süden seien die Auswirkungen (etwa in Form von Extremereignissen wie Dürren, Überschwemmungen oder Wirbelstürmen) bereits spürbar. Dabei trage das Nahrungsmittelsystem selbst erheblich zum Klimawandel bei – etwa ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen seien darauf zurückzuführen. Laut Christina Plank müsse daher das aktuelle Agrar- und Ernährungssystem grundlegend verändert werden.

Agrarökologie – Was ist das?

Eine Alternative stellt das innovative Konzept der Agrarökologie dar. Es handle sich dabei um einen holistischen Ansatz, bei dem gleichermaßen ökologische, soziale, ökonomische und politische Dimensionen berücksichtigt würden, erklärte Isabelle Schützenberger von der Dreikönigsaktion. Doch wie sieht dies in der Umsetzung aus? Die agrarökologische Praxis fördert die Biodiversität mittels Mischkulturen und Agroforstwirtschaft (indem etwa Wälder in den landwirtschaftlichen Kreislauf integriert werden). Und sie reduziert die Abhängigkeit von Agrochemikalien durch den Fokus auf Gründüngung, biologische Schädlingsbekämpfung und lokal bewährtes Saatgut. Zudem steht die Anpassung an klimatische Veränderungen sowie die Reduktion von Emissionen im Vordergrund. Durch die Einbindung verschiedener Gruppen – im speziellen von Frauen und Jugendlichen – und gegenseitigen Wissensaustausch, sollen Diversität und Solidarität gefördert werden. Um die wirtschaftliche Lage von Kleinbäuer*innen zu verbessern, gelte es außerdem kurze, faire Liefer- und Produktionsnetzwerke zu schaffen, und vermehrt auf lokale Märkte zu setzen. Auf politischer Ebene solle ein dezentralisiertes, partizipatives Agrar- und Ernährungssystem angestrebt werden. Schließlich sei auch die rechtliche Lage entscheidend. So verwies Isabelle Schützenberger auf die Deklaration der Menschenrechte für Bäuer*innen (UNDROP; United Nations Declaration on the Rights of Peasants and Other People Working in Rural Areas), die 2018 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen wurde. Diese Charta beziehe sich auf Aspekte wie das Recht auf Wasser, Saatgut, Land und Biodiversität.

Eine Initiative aus dem Globalen Süden.

Die Agrarökologie positioniert sich entschieden gegen die Vermarktlichung des Nahrungsmittelsystems sowie die Marktmonopolisierung; zwei Faktoren, die Ungleichheit maßgeblich verschärfen. Zudem fördert die agrarökologische Praxis Resilienz und Nachhaltigkeit und ist somit in Zeiten der Klimakrise relevanter denn je. Sowohl die Dreikönigsaktion, als auch Initiativen im Globalen Süden, haben das Potential von Agrarökologie erkannt. Eine dieser Initiativen ist die Rural Women’s Assembly South Africa (dt. landwirtschaftliche Vereinigung von Frauen im Süden Afrikas), kurz RWA. Die in zehn afrikanischen Staaten vertretene Organisation arbeitet mit Bäuer*innen – vor allem Frauen – zusammen. Ziel ist es, Ideen zu teilen, gemeinsam zu lernen, und ein nachhaltiges Nahrungsmittelsystem nach dem Vorbild der Agrarökologie aufzubauen. Zahlreiche Vertreter*innen der RWA nahmen online am Forum teil und sprachen über ihre Erfahrungen. Chengetai Zonke und Lungisa Huna betonten etwa, dass sie primär mit strukturellen Problemen zu kämpfen hätten: Kleinbäuer*innen hätten viel zu wenig Land zur Verfügung und besäßen dieses meist nicht. Sie hätten kaum Zugang zu Märkten, kein Recht auf Wasser, würden nicht in Entscheidungsprozesse miteingebunden und vieles mehr.

„Meine Nahrung ist mein Stolz, meine Entscheidung, mein Recht!“

Chengetai Zonke setzt sich gegen gentechnisch verändertes Saatgut ein. Dieses „neue“ Saatgut werde nicht nur teuer verkauft, sondern benötige auch deutlich mehr Agrochemikalien und schädige damit die Umwelt.  Außerdem sei das veränderte Saatgut, im Gegensatz zu traditionellem, weniger resilient und könne den klimatischen Veränderungen nicht standhalten. Wie kämpft die Rural Women’s Assembly South Africa also dagegen an? Die Kleinbäuer*innen nützen ihre eigenen Pflanzensamen, teilen und tauschen diese untereinander. Neben dem Saatgut wird auch Wissen und Erfahrung geteilt – ein besonderer Fokus liegt dabei auf indigenem Wissen und lokalen Praktiken, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Zudem fordern sie die jeweiligen Regierungen dazu auf, endlich die in der UNDROP vereinbarten Rechte vollständig zu implementieren. Denn ohne die Erfüllung dieser Rechte bleibe die Situation prekär.

„food from somewhere“ statt „food from nowhere”.

Franziskus Forster von der österreichischen Berg- und Kleinbäuer*innen Vereinigung (ÖBV) warf die Frage auf, wie Nahrung verstanden wird ­– als Ware, Menschenrecht oder Kollektivressource ­– und wie folglich damit umgegangen werden soll. Außerdem müsse mehr Bewusstsein dafür geschaffen werden, was hinter Lebensmitteln steckt. Anstatt von „food from nowehere“ (dt. Nahrung ohne Kontext) müsse von „food from somewhere” (dt. Nahrung mit Hintergrund) gesprochen werden, so Franziskus Forster. Diesen Ansatz verfolge auch das Konzept der Ernährungssouveränität, bei dem es (im Gegensatz zur Ernährungssicherheit) nicht nur darum geht, wie viele Lebensmittel produziert werden, sondern auch unter welchen Bedingungen. So heißt es in der Nyéléni-Deklaration des Forums für Ernährungssouveränität: „Es ist das Recht der Menschen, ihre Ernährung und Landwirtschaft selbst zu bestimmen. Ernährungssouveränität stellt die Menschen, die Lebensmittel erzeugen, verteilen und konsumieren, ins Zentrum der Nahrungsmittelsysteme, nicht die Interessen der Märkte und der transnationalen Konzerne.“

MILA – Ein Supermarkt mit Mitspracherecht.

Ein Beispiel, wie sich Konsument*innen gegen das aktuelle Corporate Food Regime stellen können, ist der Mitmach-Supermarkt MILA. Ausgehend von Vorbildern wie der Park Slope Foodcoop in New York oder La Louve in Paris, wurde 2020 der Verein MILA, und zwei Jahre später der erste Minimarkt in Wien gegründet. Im Gegensatz zu konventionellen Supermärkten hat man als Mitglied bei MILA Mitspracherecht und Veränderungsmacht. Man könne daher mitbeeinflussen, welche Produkte im Sortiment vorhanden sind, und auch welche Produktionsbedingungen unterstützt werden, betonte Brigitte Reisenberger. Zu den Grundprinzipien von MILA zählt: Ein möglichst biologisches, regionales und saisonales Sortiment, der respektvolle Umgang mit Lieferant*innen, kurze Lieferketten und die Beachtung von Tierwohl und Umweltschutz. Wie der Name bereits verrät, basiert der Mitmach-Supermarkt auf der Unterstützung von Mitgliedern. Durch die geringen Personalkosten könnten Produkte günstiger verkauft werden, so Reisenberger. Ein weiterer Unterschied zu konventionellen Supermärkten sei, dass der Rohaufschlag (Differenz von Einkaufspreis und Verkaufspreis) mit etwa 23-30% transparent und nachvollziehbar ist. So könnten „Trendprodukte“ wie Haferflocken bei MILA tatsächlich günstiger sein als in anderen Märkten, erklärte Brigitte Reisenberger. Die Gewinne des Minimarktes würden aktuell in den Aufbau eines großen Supermarktes fließen. Später könnten die Gewinne genützt werden, um den Rohaufschlag oder auch die Mitmach-Stunden zu reduzieren. Dies werde jedoch, wie alles andere, gemeinsam entschieden, so Brigitte Reisenberger.

Das Forum machte deutlich, dass andere Wege möglich sind. Nun liegt es sowohl in den Händen der Produzent*innen, als auch der Konsument*innen, den gesellschaftlichen Druck zu erhöhen und besonders der Wirtschaft und Politik aufzuzeigen, dass es nicht nur anders gehen kann, sondern muss! Denn Nahrung muss in erster Linie Menschenrecht und nicht Vehikel zur Profitmaximierung sein.

 

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Forum 2: Ungleicheit im globalen Agrar- und Ernährungssystem

Titelbild © David Untersmayr. Die kleine Stadtfarm in Wien-Donaustadt ist ein Gemeinschaftshof, der sozial-ökologischen Initiativen Raum zur Ernährungs- und Lebensgestaltung bietet.

Veröffentlicht in Thema Globale Ungleichheiten, Genderungerechtigkeit, Entwicklungstagung 2022.